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In der DDR-Flugzeugindustrie war die Struktur die ewige Veränderliche

Als in der DDR ab Juli 1954 eine Leitungsstruktur für den neuen Industriezweig "Luftfahrtindustrie" aufgebaut werden mußte, übernahm man zunächst erst einmal die aus der UdSSR mitgebrachte Struktur. Dies gilt für die Techniker um Brunolf Baade. Zugleich existierte auf staatlicher Seite die bereits 1951/52 gegründete "Hauptverwaltung 18" in Pirna, die 1952 schon einmal den Versuch unternommen hatte, eine noch rüstungsorientierte Flugzeugindustrie in der DDR aufzubauen. Die HV 18 blieb nach dem Scheitern dieses Versuches im Sommer 1953 dennoch erhalten und übernahm im Sommer 1954 einen zweiten Versuch. Über die HV 18 lief die Koordinierung der Kaderbeschaffung, die Projektierung der Betriebe und die Planung der notwendigen Finanzen. Brunolf Baade war der Hauptverbindungsmann zwischen dem Staat (HV 18) und den hunderten Ingenieuren, die sich auf dem Sonnenstein in Pirna einfanden, um alles für einen Neuanfang in der DDR vorzubereiten.

Nach einem angemessenen Urlaub und die Wohnungsbeschaffung für die Kader begann im September 1954 die Arbeit an dem Projekt "Produktion von Flugzeug- und Geräteersatzteilen für die Sowjetunion", die am 4. Februar 1955 in die schriftliche Form der "Anweisung des Amtes für Technik Nr. 1/55" gegossen wurde und die Gründung der "Verwaltung für Industriebedarf (VfI)" einleitete. Die VfI war die höchste, die ganze Flugzeugindustrie leitende Organisation. Aber schon 1956 wurde die VfI in die" VLI" (Verwaltung für die Luftfahrtindustrie) umgeformt. Im Zuge des Aufbaus des neuen Industriezweiges wurden mehr und mehr staatliche Strukturen in die  von Brunolf Baade ausgebauten technischen Strukturen integriert. Bereits zur Zeit der VfI gab es deshalb schon die verhängnisvolle Doppelleitung des Industriezweiges mit den technischen Leitern auf der einen Seite (die die Hauptarbeit beim Aufbau zu tragen hatten) und die staatlichen Leiter, deren Struktur staatlicherseits vorgegeben war mit dem Betriebsdirektor an der Spitze und seinem Gefolge aus Kaderleiter, Ökonomischer Direktor usw., so daß den technischen Leitern die Ökonomie zwangsläufig entgleiten mußte, weil sie dafür nicht verantwortlich waren.

Als weitere "Errungenschaften" des werktätigen Volkes mußten noch weitere, nämlich gesellschaftliche Leiter eingesetzt werden, wie Parteisekretär, Gewerkschaftsvertreter, FDJ-Sekretär, DFB, Kultur usw. Von diesen Leitern war der Parteisekretär der einflußreichste, der praktisch auf gleicher Höhe mit dem Betriebsdirektor stand.

Zum 1. Januar 1958 wurde die Struktur erneut durchgreifend geändert. Die VLI wurde abgeschafft. An deren Stelle trat die VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe). Bei jeder Umorganisation, die von oberster staatlicher Stelle immer wieder angeordnet wurde, breitete sich die Bürokratie immer weiter aus, während die Befugnisse der Techniker zurückgedrängt wurden.

Auch wenn die Gegner der DDR viel Unsinn über diesen Staat verzapfen, bei einem haben sie Recht: Die organisierte Verantwortungslosigkeit in der Wirtschaftslenkung konnte auf Dauer nicht gut gehen. Der hochkomplexe Flugzeugbau spürte dies zuerst. Der Untergang dieses Industriezweiges nahm den Untergang des Sozialismus vorweg. Denn dieser organisierten Verantwortungslosigkeit war bald nicht mehr Herr zu werden.

(Konstrukteur Kurt Cyron, der bei Junkers Typenleiter für die Ju 252 und danach für die Ju 248 und in der DDR im Forschungszentrum der Luftfahrtindustrie gewesen ist, erzählte mir 2004 bei einem Treffen, daß die DDR-Wirtschaft systematisch von "ganz oben" zerstört worden sei. Kaum habe mal etwas einigermaßen in den Betriebsabläufen funktioniert, wurde es schon wieder geändert. Alle anderthalb bis zwei Jahre seien die Strukturen umgestülpt worden. Er vermute, daß hier "Feinde" am Werk gewesen seien. Daß das so gewesen ist, ist Fakt. Aber nicht Feinde haben hier gewirkt, sondern eine Eigendynamik, die sich aus der Doppelstruktur der Leitung im Staat (Partei und Ministerrat) und in den Betrieben (Betriebsdirektor und Parteisekretär) ergab. Wenn nämlich etwas nicht klappte, war keiner verantwortlich zu machen, also mußte die Struktur als Sündenbock herhalten, die dann natürlich wieder einmal geändert werden mußte.)

Trotz der ewigen Veränderungen kann für den technischen Sektor ein Strukturplan gegeben werden, der einigermaßen von Dauer war und sich auch weitgehend an die Struktur des Junkers-Staatskonzerns anlehnte. Aus Platzgründen sind hier nur die drei wichtigsten wiedergegeben: Chefkonstrukteur, Entwurf und Musterkonstruktion.

Strukturplan Chefkonstrukteur im VEB Flugzeugwerke Dresden ab Januar 1958

Strukturplan Entwurfsbüro

Strukturplan Konstruktionschef I (Musterbau)

Chefkonstrukteur war Fritz Freytag (2), der bei Junkers als Aerodynamiker die Projektgruppe geleitet hatte. Alle Leiter dieses Strukturplanes entstammen der Junkers-Hierarchie wie Peter Bonin (21), Prof. Backhaus (22), Dr. Waldemar Günther (23), Johannes Haseloff (24), Joseph Besinger (25), Paul Keller (26), Walter Wogeck (27) und Dr. Kuno Strauß (28) usw.

Konstruktionschef I war Johannes Haseloff, der zugleich Stellvertreter von Chefkonstrukteur Fritz Freytag war. Er leitete den gesamten Musterbau, angefangen bei der Konstruktionsforschung, über die Konstruktion eines neuen Flugzeuges bis hin zu den Versuchen an Bauteilen und den Attrappenbau.