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Aus dem Junkersbomber EF-150 entsteht 1953 in der UdSSR das Passagierflugzeug "15.2"

 

Die 152/I V1 am 3. Dezember 1958 während des dritten Rollprogramms, nachdem beim zweiten Rollen am 30. November 1958 beim Bremsversuch die Hauptfahrwerksräder blockiert waren, was zur Zerstörung der Räder geführt hatte. Am 4. Dezember 1958 erfolgte um 11.18 Uhr der erste Flug der 152/I V1.

 

Das Junkers-Passagierflugzeug 152 trug auf der Projektmappe vom Mai 1953 die Tarnbezeichnung "15.2". Die Zeichnung zeigt einen Schulterdecker mit vier Triebwerken Jumo 014 mit Nachbrenner und 3.700 kp Maximalschub.

 

Zeichnung der Antennenanlage der Ju 152.

 

 

Am 26. Dezember 1951 rollte der mittelschwere Bomber Junkers EF-150 mit zwei Triebwerken AL-5 aus der Montagehalle in Podberesje.

 

 

Aus Betriebskostengründen mußte die Ju 152 zur 152/0 vergrößert werden. Das Flugzeug besaß eine hydromechanische Steuerung mit künstlich erzeugtem Steuergefühl. Sein charakteristisches Merkmal war die "Bomberhaube".

 

 

Die 152/0 im Schnitt: Durch die Unterbringung des Hauptfahrwerkes im Rumpf (Tandemfahrwerk) ergab sich eine ungünstige Raumausnutzung in der Kabine.

 

Junkers-Chefkonstrukteur Brunolf Baade versammelt ab September 1953 in Sowjolowo bei Moskau die letzten deutschen Flugzeug- und Triebwerkspezialisten, um dieses Potential geordnet aus der Sowjetunion nach Dessau zurückzuführen. In Dessau soll, so hat er es bereits mit SED-Chef Walter Ulbricht und KPdSU-Chef Nikita Chrustschow vereinbart, das Junkerswerk wieder aufgebaut und ab Mai 1955 wieder in Betrieb gehen. Doch diesmal sollen nur noch zivile Flugzeugtypen entwickelt werden, in der Hauptsache für die Sowjetunion, aber auch für den Export in die einstigen Junkershochburgen Südeuropa, Naher Osten, Südafrika und Südamerika. Für diese Aufgabe hat Baade nicht nur die wichtigsten Junkers-Konstrukteure unter seiner Führung vereint, sondern auch namhafte Spezialisten aus anderen Flugzeugwerken und Forschungsstellen, so zum Beispiel Siebel-Chefkonstrukteur Heinz Roessing, Heinkel-Chefaerodynamiker Siegfried Günter (hatte unter Roessing am Mach-2-Forschungsflugzeug DFS 346 gearbeitet) und den letzten Chef der DVL, Prof. Günther Bock, der als Berater für das ZAGI tätig war.

In einer leergeräumten Fabrik in Sowjolowo begann die Arbeit an dem Projekt "15.2" und dem Triebwerk "014". Die beiden Entwicklungen tragen Tarnbezeichnungen und repräsentieren einmal das Flugzeug Junkers EF-152 und zum andern das Strahltriebwerk Jumo 014. Als Chefkonstukteure fungieren Prof. Günther Bock für das EF-152 (Bock war selbst alter Junkersmann, nämlich bis 1930 Chefstatiker und damit involviert in das bis dahin beste Junkersflugzeug – die Ju 52) und Ferdinand Brandner für das Jumo 014 (Brandner war seit 1937 bei Junkers und verantwortlicher Chefkonstrukteur für die Motoren Jumo 222, Jumo 012B, Jumo 022 und NK-12).

Baades Vorstellung für das Flugzeug 15.2 war folgende: Um in Dessau sofort wieder mit der Flugzeugproduktion auf hohem Niveau beginnen zu können, sollte aus dem exitierenden mittelschweren Bomber Ju EF-150 durch geometrische Vergrößerung das Passagierflugzeug "Ju 152" entstehen, so daß man die aerodynamischen Daten der 150 übernehmen konnte und dadurch viel Entwicklungsaufwand sparte, für den man in der DDR noch lange keine Forschungsanlagen haben würde. Wenn dann die Windkanäle und Labore ab 1956 zur Verfügung stünden, könnten dann in eigener Regie neue Flugzeuge mit den neuesten aerodynamischen Kennwerten entwickelt werden (153 und folgende).

Der Bomber EF-150 war von 1948 bis 1951 entwickelt worden und für eine Bombenzuladung von 1.500 kg bis 6.000 kg bei einer Flugstrecke von 5.000 km bis 1.500 km mit fünf Prozent Restkraftstoff konzipiert. Dabei variierte die Abflugmasse zwischen 38 und 47 Tonnen. Ausgelegt war das Flugzeug für ein Bruchlastvielfaches von 5,0 und einen Staudruck von 3.000 kg/qm. Die Höchstgeschwindigkeit wurde mit Mach 0,9 erflogen, festgelegt wurden aber 0.89 (950 km/h in 11 km Höhe). Die Junkers EF-150 hatte sich bei ihren 17 Testflügen als ein überaus leistungsfähiges Flugzeug erwiesen, das aber durch die fortlaufenden Fertigungsprobleme in Podberesje und die erschwerte Flugerprobung weitab von Podberesje und unter russicher Hand bereits veraltet und damit der Tu-16 mit ihren doppelt so starken Triebwerken unterlegen war. Die Ju 150 glänzte mit vielen Neuheiten (Pylonen, geteilte Ruder, hydro-mechanische Steuerung, beschußsichere Rumpftanks) und einer hohen Oberflächengüte. Für eine Abwandlung zum Passagierflugzeug eignete sich dieses Muster jedoch nicht. Dennoch setzte sich Baade durch, so daß ab Dezember 1953 die 152 als eine 20-prozentige Vergrößerung der 150 projektiert wurde, wobei der Rumpf von 2,70 m Durchmesser auf einen ovalen Rumpf von 3,10 m mal 3,25 m umkonstruiert wurde. Desweiteren wurde die Pfeilung des Flügels von 35 Grad auf 30 Grad zurückgenommen, weil die projektierte Reisegeschwindigkeit nur noch 700 bis 750 km/h betragen sollte.

Für die Projektierung unter der Leitung von Hans Wocke wurden zunächst alle englischen Unterlagen zur Comet 2 beschafft. Aus den Unterlagen ging hervor, daß das Rüstgewicht der Comet 2 von 23,6 Tonnen so außerordentlich niedrig war, daß man das nie erreichen konnte. Man rätselte, wie das möglich sei, denn die Comet hatte dadurch einen Zuladungsfaktor von 58 Prozent, ein Traumwert. Man schob das auf das verwendete Redux-Klebeverfahren, denn manwußte ja noch nicht, daß die Comet aus Unkenntnis viel zu schwach konstruiert worden war. Während der Projektierungsphase schälte sich allerdings schon heraus, daß die 152 als Hochdecker und mit dem Tandemfahrwerk nur bedingt wirtschaftlich werden würde. Aber die Wirtschaftlichkeit spielte in der vom sowjetischen Luftfahrtministerium herausgegebenen Spezifikation keine Rolle. Das Flugzeug sollte nur schnell sein, einen sehr hohen Passagierkomfort aufweisen und von Grasnarbe mit geringer Startstrecke operieren können. Das war schon alles, abgesehen von der sprichwörtlich hohen Junkers-Sicherheit. Das Luftfahrtministerium MAP wollte einfach ein schnelles und sicheres Flugzeug für die Natschalniks.

Die Firma Junkers hatte in der Welt und speziell in der UdSSR ein hohes Ansehen. Man war sich darüber im klaren, daß man den Flugzeugbau in Deutschland nicht auf ewig verbieten konnte. Das Flugzeugbauverbot für Deutschland wurde auch nicht von der Sowjetunion, sondern vor allem von England und Frankreich eingefordert. Die meisten der 1.000 Junkers-Mitarbeiter hatten sich längst mit der Sowjetunion ausgesöhnt. Sie wollten das Abenteuer "Leben für den Flugzeugbau" unbedingst fortsetzen, und das ging nur in der DDR. Westdeutschland hatte praktisch keine eigene Flugzeugentwicklung und würde sie auch die nächsten zehn Jahre nicht haben. Nur die DDR-Regierung war bereit, mehrere Milliarden Mark in einen neu aufzubauenden Flugzeugbau zu stecken. Das und die Wohnungen in Dessau waren der Grund, warum 99 Prozent der Junkersleute in der DDR blieben und den Neuanfang wagten.

Das sowjetische Luftfahrtministerium hatte an Junkers den Entwicklungsauftrag für die 152 im September 1953 erteilt. Zugleich übernahm die Sowjetunion die Verpflichtung, beim Aufbau der Luftfahrtindustrie in der DDR mit Fachleuten, Technik und Material zu helfen. Um die hohen Anlaufkosten abzufedern und bereits neues Personal ausbilden zu können, wurde zwischen den Regierungen von UdSSr und DDR vereinbart, die sowjetische IL-14P in deutscher Eigenregie nachzubauen. Dazu lieferte die UdSSR alle notwendigen Maschinen und Einbauteile für insgesamt 80 Flugzeuge. Desweiteren kamen zwei Dutzend sowjetische Fachleute in die DDR. Im Prinzip bekam die DDR ein IL-14-Serienwerk geliefert, das wahrscheinlich auch als Ausgleich für das abgebaute Dessauer Junkerswerk gedacht war.

(Die technische Einordnung der Dresden-152 in ihre Zeit und ein Vergleich mit den Typen Comet, Tu-104, Caravelle, Boeing 367-80, B 707, Douglas DC-8 sowie den englischen Projekten Vickers VC.7, Avro Atlantik und HP Civil-Victor ist im Buch Holger Lorenz: "Start ins Düsenzeitalter" ausführlich dokumentiert.)

 

Durch die Umstellung der 152 auf die russischen Triebwerke Mikulin RD-9B mußte die Steuerung auf eine reine Handsteuerung mit aerodynamische Kraftunterstützung und Massenausgleich umkonstruiert werden. Dadurch war nun auch Zeit, das Cockpit komplett in die Außenkontur einzuziehen.

 

 

Auf der Werks-IL-14 wird steuerungsseitig das Höhenleitwerk der 152/I V2 vermessen.

 

 

Dreiseitenriß 152/I V1-V3.

 

 

Das Rumpfvorderteil in der Gesamthelling.

 

 

10. Februar 1958: Der Rumpf der 152 V1 schwebt aus der Helling.

 

 

Mitte April 1958 nimmt die V1 langsam Gestalt an.

 

 

Das provisorische Instrumentenbrett der 152 V1 im Juli 1958.

 

 

Chefpilot Karl Treuter (li.) und Versuchspilot Heinz Lehmann in der Attrappe der 152/I.

 

 

Kabinenattrappe 152/I.

 

 

Entwurfsing. Günter Weyh mit den Sekretärinnen von Hans Wocke und Fritz Freytag in der Attrappe.

 

 

Die statische Bruchzelle 152/I V2 wird in das Festigkeitslabor der Halle 218 geschoben.

 

 

Die 152 V1 vor dem ersten Rollout am 30. April 1958.

 

 

Die V1 vor der Halle 222.

 

 

Staatsfeier mit der Regierung vor der Halle 222.

 

Leistungsfähige Junkers-Flugzeuge aus DDR-Produktion für die UdSSR

Ohne die Hilfe der UdSSR wäre nicht an den Aufbau einer Luftfahrtindustrie in der DDR zu denken gewesen. In dem Vertrag mit der UdSSR war eine Gesamtstückzahl von 540 Flugzeuge vom Typ IL-14P festgelegt worden. Die Zulieferverpflichtung für 80 Flugzeuge reichte für das erste Jahr aus. Danach mußten alle Teile in der DDR gefertigt werden. Doch dieser Vertrag wurde bereits 1957 außer Kraft gesetzt, weil die UdSSR inszwischen modernere Flugzeuge baute und die IL-14-Serie nach 1.200 Flugzeugen auslaufen ließ. An einen Kauf von IL-14P aus der DDR war da nicht mehr zu denken. Auch ein Verkauf in andere Länder gestaltete sich sehr schwierig, weil das Flugzeug nicht sehr wirtschaftlich war. So beschloß man, die Serienproduktion über drei Jahre zu ziehen und nach den 80 Stück auslaufen zu lassen, um nicht noch selbst gezwungen zu sein, die vielen Geräte für die IL-14 nachentwickeln zu müssen.

In der Zwischenzeit hatte das Projektbüro unter Hans Wocke neue Muster ausgearbeitet, die die IL-14 ablösen und zugleich neue Märkte erschließen sollten. Die Flugzeuge 153, 154, 155 und 160 basierten zum Teil auf Mustern, die bereits in der Sowjetunion von Junkers geschaffen worden waren. Besonders auffällig war, daß drei Typen davon Propellerturbinen aufwiesen, denn die waren sehr wirtschaftlich und Junkers war damit in der Welt führend. Zu dieser Zeit (1955) hatte nicht mal England solch starke Propellerturbinen.

 

 

Die hauptsächlichen Windkanaluntersuchungen an der 152/I erfolgten im Moskauer ZAGI. Ab Herbst 1957 aber waren die beiden Windkanäle in Dresden-Klotzsche fertiggestellt, so daß auch in Dresden endlich konkrete Messungen in schneller Folge durchgeführt werden konnten.

 

Während aber die Projektierung rasch voranschritt, kam der Aufbau des neuen Industriezweiges nur schleppend voran. Das lag zuerst daran, daß kurzfristig die Planung geändert worden war und Dessau als Standort wegfiel, nur, weil über Dessau die Luftstraße nach Westberlin verlief und das Werk dadurch aus der Luft leicht ausspioniert werden konnte. In Dessau hatte auch schon der Aufbau begonnen gehabt mit Instandsetzungsarbeiten der 2.150 m langen Startbahn, der Anlieferung von Hallenbauten. Im Prinzip hätte in Dessau sofort mit der Konstruktion der 152 auf breiter Front begonnen werden können, denn in Dessau hatten die Junkersleute ihr Zuhause und ihre Familien. Hier mußte nicht erst Wohnungsbau betrieben und umgezogen werden. Außerdem stand das Junkers-Konstruktionsgebäude unversehrt zur Verfügung, auch das Verwaltungsgebäude des Otto-Mader-Werks. Die Fundamente der ehemaligen Hallen standen auch noch. Durch diese Entscheidung ist sehr viel Zeit verloren gegangen und viel sinnlose Fahrerei nach Dresden, Pirna und Karl-Marx-Stadt erzeugt worden.

Erst im Juli 1955 konnte dann in Dresden-Klotzsche mit dem Bau des Neuwerkes begonnen werden. Doch die Baukapazität war in Dresden bereits stark ausgelastet, wodurch die Werksbauten wegen Materialmangels und Planungsverzugs ständig zu langsam vorankamen und teilweise ganz der Tilgung zum Opfer fielen.

Die stürmische technische Entwicklung in den 1950er Jahren setzte alle Flugzeughersteller unter Druck. Wer bei diesem Wettrennen den Anschluß verlor, der wurde einfach aus dem Rennen geworfen. Allein die Sowjetunion mit ihrer Planwirtschaft konnte sich dem entziehen und in Ruhe und auf lange Sicht Flugzeuge entwickeln. In der Planung für die "152" unterlief Brunolf Baade allerdings ein entscheidender technischer Fehler, der das Flugzeug in Abseits manövrierte. Die UdSSR wollte von Baade ein kleines Flugzeug, Baade dagegen hatte unter dem Druck der Wirtschaftlichkeit aus dem Typ 15.2 die größere 152/I von Hans Wocke entwickeln lassen, die mit ihren 40 bis 60 Passagieren in die Größenordnung der Tu-104 vorstieß, die 50 bis 70 Passagiere transportieren konnte. Aber eine Konkurrenz zur Tu-104 wollte weder das MAP noch die Aeroflot.

Im Herbst 1955 weilte eine DDR-Delegation in der UdSSR, wo sie von sowjetischer Seite erklärt bekam, daß die Sowjetunion nicht bereit sei, veraltete Flugzeuge von der DDR zu kaufen. Konkret ging es um das Flugzeug 152 und die PTL-Projekte 153, 154 und 155, die in ihren Leistungen noch längst kein Weltniveau erreicht hätten und besonders in der Gewichtsbilanz verbesserungswürdig seien. Daraufhin wurde die 152 umprojektiert und leicht vergrößert, um sie wirtschaftlicher zu machen. Dazu benötugte man aber auch ein neues Triebwerk 015, das sofort in Angriff genommen wurde.

Bei der Neuvorstellung der Projekte im Herbst 1956 ging die 152/I unter Vorbehalt durch. Der mit der IL-18 vergleichbare Transporter 154 reichte technisch nicht an diese heran, weswegen das Projekt nun ganz aufgegeben wurde. An der 153 hätte die UdSSR Interesse, wenn das Flugzeug etwas kleiner wäre. So entschied Baade, aus der 34 Tonnen schweren 153 die 30 Tonnen schwere 153A zu machen. Die 155 war ja sowieso nur eine vergrößerte Variante der 153, die deshalb auch aufgegeben wurde.

Ab Herbst 1956 begann man also in Pirna mit der Konstruktion der 152/I mit dem ZTL-Triebwerk Pirna 015 (4.500 kp) sowie einer technischen Neuausrichtung des zweimotorigen PTL-Transporters 153, der nun komplett neue Wege geht, indem die nunmehr als 153A bezeichnete Maschine zu einem höhenflugtauglichen Muster (12 km statt 6,5 km Flughöhe) umprojektiert wird. Dadurch sinkt der Kraftstoffverbrauch um 50 Prozent, wodurch man auf ein Startgewicht von 30 Tonnen kommt.

Laut Volkswirtschaftsplan sollte die 152 V1 im 3. Quartal 1956 flugklar sein, um sie ab 1957 die Serienproduktion anlaufen lassen zu können. Dieser Termin war 1954 von Brunolf Baade an Walter Ulbricht gemeldet worden, aber unter den Bedingungen des Umzugs von Dessau nach Dresden, dem Fehlen der in der UdSSR ausgearbeiteten Konstruktionsunterlagen, der schlechten Wohnraumsituation und den immer hektischer werdenden Bedingungen auf den Baustellen sowie der von der UdSSR geforderten Umkonstruktion der 152 wurde dieser Termin schnell zur Makulatur. Die zwei Jahre Bauzeit für die V1 wären unter normalen Bedingungen ausreichend gewesen, nicht aber unter den Bedingungen eines kompletten Neuaufbaus der Werke verstreut über die südlichen Bezirke der Republik. Die Jahre 1954, 1955 und 1956 erwiesen sich im Nachhinein als die entscheidenden Jahre, die als verloren abgeschrieben werden mußten. Erst im Februar 1957 war mit einem gewaltigen Kraftaufwand der Beginn der V-Muster-Produktion erreicht worden.

Die ersten Materialien für die 152/I V1 und V2 wurden freigegeben und in die Produktion eingeschleust. Das zweite Los für die V3 und V4 ging im Sommer 1957 in Produktion. In der Zwischenzeit hatte sich Brunolf Baade überzeugen lassen, daß die 152 mit dem Tandemfahrwerk nicht verkaufbar sei. So schloß sich an die fertige Konstruktion 152/I im Sommer 1957 die Umkonstruktion auf die 152/II mit Dreibeinfahrwerk an (Eigentlich war bis dahin die 152/II die Variante mit Triebwerken Pirna 014 und Tandemfahrwerk, die Variante 152/I die mit sowjetischen Triebwerken Mikulin AM-9, wodurch die Variante 152/III wegfiel und nun gleich als Variante II bezeichnet wurde). Diese Umkonstruktion war erheblich und risikobehaftet, denn bis dahin gab es nirgendwo auf der Welt ein Flugzeug, das sein Hauptfahrwerk in eine Zwillingsgondel einzog. Damit wurde die sogenannte "Kombinierte Triebwerkszwillingsgondel" zum Herzstück des gesamten Flugzeuges. Die Gondel war also das komplizierteste Konstruktionsteil an der 152/II. Die Bestimmung der günstigsten Form im Windkanal erforderte dringend eigene Windkanaltests (Kanal ging erst im Herbst 1957 in Klotzsche in Betrieb, Vergleichsmessungen zum Eichen des Kanals dauern lange und bleiben noch lange Zeit ein Unsicherheitsfaktor). Die Statik mußte komplett neu gerechnet werden, weil die Landekräfte jetzt durch die Gondel liefen und in den Flügel statt den Rumpf geleitet wurden. Außerdem mußte die Gondel jetzt zusätzlich noch an den hinteren Flügelholm angelenkt werden. Der Rumpf selbst blieb zwar äußerlich gleich, aber im Innern wurde die Kabine länger (Schwerpunkt wandert nach hinten), eine neue längere Rumpfunterschale mußte konstruiert werden, ein neuer hinterer Druckspant, ein neuer Frachtraum und eine neue Frachttür. Erst im Herbst 1959 konnte die erste Kombigondel fertiggestellt werden.

 

Das wirkliche Rollout der 152/I V1 erfolgte am 29. September 1958 um sechs Wochen verspätet bei Starkregen.

 

Der Staatsakt am Vorabend des 1. Mai 1958 mit dem Rollout der 152/I V1

Die ständigen Verzögerungen in der Produktion, die Kostenexposion und die zunehmend ablehnender werdende Haltung der Sowjetunion zur 152 führten schon Ende 1957 zu immer größerer Hektik bei den strategischen Entscheidungen. Im November 1957 ließ Brunolf Baade die 152/I V4 vom Produktionsplan absetzen, im Februar 1958 die 152/I V3. Die V3 sollte später auf Triebwerke Pirna 014 umgerüstet werden, die V4 sollte sie von Anfang an erhalten. Mit den beiden Maschinen sollten die deutschen Triebwerke im Flug erprobt werden. Für die aufgegeben Maschinen V3 und V4 mußten nun zwei IL-28 gekauft und auf ein einzelnes Triebwerk 014 umgebaut werden. Das war wenig effektiv. Erschwerend kam die zu späte Erkenntnis hinzu, daß das TL 014 zusätzlich unter dem Rumpf der IL-28 eingebaut werden mußte, statt eines einfach durch ein WK-1 auszutauschen.

Als die 152/I V1 zum lange geplanten Rollout am 30. April 1958 aus der Halle 222 rollte, betrug ihr Endmontagestand erst 36 Prozent. Von außen sah das Flugzeug fertig aus. Es stand auf eigenem Fahrwerk und konnte gerollt werden. Die Werksbemalung mit dem Schriftzug "152" suggerierte eine flugfähige Maschine. Doch das Flugzeug besaß weder Triebwerke mit den entsprechenden Zuleitungen und Aggregaten, noch eine Hydraulikanlage, noch die Einzugsfederstreben für die Fahrwerke. Die 152 V1 war am 30. April 1958 noch ein Potemkinsches Dorf. Doch der seit langem geplante Staatsakt mit der aus Berlin angereisten Regierungsdelegation mußte stattfinden. Und er wurde ein großer Erfolg. Ob Walter Ulbricht über den genauen Fertigungsstand der V1 aufgeklärt worden ist, muß ein Geheimnis bleiben, weil dazu nichts Schriftliches festgehalten worden ist. Dennoch dürfte Ulbricht bei der Begehung der Maschine nicht entgangen sein, daß die V1 noch nicht ganz fertig war. Doch das war an diesem Tag auch nicht mehr so wichtig. Die Produktion der 152 war angelaufen. Ulbricht sah, daß mit Hochdruck an der V1 und V2 gearbeitet wurde und daß das Gesamtwerk auf einem guten Wege war. Jetzt ging es um den Verkauf der Maschine an die russische Aeroflot, um die vielen Millionen Mark an Investitionen zu amortisieren.
Es begann nun ein großes Ringen mit der Sowjetunion um schriftliche Kaufverträge. Doch die Sowjetunion blieb zurückhaltend. Erstmal sollte das Flugzeug fliegen und seine errechneten Leistungen im Fluge nachweisen. Dagegen konnte die DDR-Seite kein Gegenargument hervorbringen. Der Industriezweig blieb also weiterhin defizitär, denn auch der IL-14-Verkauf in die UdSSR war ja bereits 1956 ebenfalls nicht zustande gekommen.

An der 152/I V2 werden ab August 1958 die statischen Berechnungen überprüft

 

Am 23. August 1958 begannen die Zugversuche mit der 152/I V2 im 50 m breiten Mittelschiff der Halle 218 in Dresden-Klotzsche.

 

Die statische Bruchzelle 152/I V2 gehörte zum selben Produktionslos wie die V1. Sie lag zwei Monate hinter der V1, weil diese ja erst aus den Bauvorrichtungen heraus sein mußte. Am 31. Juli 1958 wurde die 152/I V2 zellenseitig fertig und am selben Tag in das Festigkeitslabor überführt, das sich rund 800 m entfernt neben dem Konstruktionsbüro befand. Erst hier wurden die Großbauteile Rumpf, Flügel und Leitwerk zusammengebaut und in eine Stahlkonstruktion aus Säulen, Trägern und Streben eingehängt. Starke Hydraulikzylinder an den Zugbändern sorgten für die nötigen Kräfte, um die Flügel nach oben zu ziehen und den Rumpf nach unten. Die Fixierung der Zelle erfolgte an drei Punkten. An drei weiteren Punkten befanden sich Manometer, um die Zugkräfte messen zu können.

Die Firma Junkers hatte seit 1916 die statische Erprobung einer Gesamtflugzeugzelle zu höchster Perfektion geführt. Mehrere Zugversuche wurden zu Gruppen von Lastfällen zusammengefaßt: Symmetrische und unsymmetrische Lastfälle, Abfangen mit unterschiedlichen Belastungen, Landefälle, Steuerungsfälle usw. Dieses Wissen war erhalten geblieben, denn die entsprechenden Junkersunterlagen und vor allem das Personal von Junkers waren in Dresden – Chefstatiker Karl Aikele, Dr. Waldemar Günther, Heinrich Kornmüller, Fritz Müller, Fritz Paasch u.a.
Am 23. August 1958 begannen die ersten Zugversuche mit der 152 V2 mit verschieden starken Stößen auf das Bug- und das Hauptfahrwerk. Am 27. September 1958 erfolgte ein Großbruchversuch mit Innenaufladung der Druckkabine mit Lastfall B2/B3, der einen etwas außergeöhnlichen Landefall simulierte, wo noch Überdruck im Rumpf vorhanden ist.

Bevor die V1 zum ersten Mal in die Luft durfte, mußten die für den Erstflug relevanten Belastungstests mit der Bruchzelle 152 V2 abgeschlossen sein. Frühestens Ende Oktober 1958 war deshalb mit dem Erstflug der V1 zu rechnen. Nach den ersten Serien von Zugversuchen mit der Bruchzelle schälte sich heraus, daß Rumpf, Flügel, Leitwerk und Fahrwerk weitgehend den errechneten Werten entsprachen. Im Hinblick auf eine Erhöhung des Abfluggewichts mußte das Tragflügelmittelstück verstärkt werden, was sofort an der 152 V1 durch Einnieten weiterer Hutprofile im Torsionskasten umgesetzt wurde. Auch im hinteren Rumpfbereich, dort wo das Hauptfahrwerk einfuhr, hatten sich starke Beulen der Außenhaut ergeben. Da dieser Bereich außerhalb der Druckkabine lag, konnte mit einfachen Mitteln eine Verstärkung herbeigeführt werden.

Die 152/I V2 wurde noch bis 1960 für Bruchversuche genutzt, ehe dann die Versuche an der neuen Bruchzelle 152/II V6 fortgeführt wurden. Die V2 diente ab Dezember 1960 bis Herbst 1961 als Teststück für den neu aufgebauten Wassertank für den Lebensdauertest. (Eine ausführliche Beschreibung der technischen Besonderheiten für die Festigkeitsnachweise für Passagierflugzeuge und für das Fliegen an der Schallgrenze findet sich im Buch "Start ins Düsenzeitalter")

 

Die 152/I V2 in der "Folterkammer".

 

 

Damit das Flugzeug in seiner Aufhängung nicht wegschwimmt, war es an drei Punkten fixiert.

 

 

Das Tandemfahrwerk war für einen Bomber akzeptabel, für ein Passagierflugzeug jedoch keinesfalls.

 

 

Die Rollerprobung begann mit der 152 V1 am 23. November 1958.

 

 

Eine seltene Perspektive der V1 direkt von hinten.

 

 

Fast die gesamte Entwicklermannschaft beobachtete das Rollen am 23. November 1958.

 

Die 152 V1 wird am 4. Dezember 1958 endlich flügge

 

Unmittelbar bis zum Sonnenuntergang gegen 16.10 Uhr wurde am 3. Dezember 1958 das dritte Rollprogramm mit der 152/I V1 zu Ende gebracht. Für dieses Foto befand sich in der Ihagee-Kleinbildkamera Exakta Varex das damals feinkörnigste deutsche Filmmaterial Agfa FF.

 

 

Bis zur Abhebegeschwindigkeit von 245 km/h wurde in einem Dutzend Anläufen beschleunigt.

 

 

Kurz vor dem Start am 4. Dezember 1958. Rechts kommt gerade die Aero 45 vom Wetterflug zurück.

 

Dreiseitenriß der 152/I V1.

 

Die 152/I V1 überfliegt am 4. Dezember 1958 bei strahlendem Sonnenschein den Platz in Dresden-Klotzsche.

 

 

Nach 35 Minuten landete die 152/I V1 um 11.53 Uhr in Dresden-Klotzsche wieder und wurde sofort von den herbei eilenden Flugzeugbauern enthusiastisch gefeiert.

 

 

Co-Pilot Kurt Bemme wird beim Aussteigen freudig empfangen.

 

Der 4. Dezember 1958 ist ein denkwürdiger Tag in der deutschen Luftfahrtgeschichte. Die einstige Konstruktionsgruppe des Junkerskonzerns hat
es in der kleinen DDR geschafft, ein düsengetriebenes Passagierflugzeug bis zur Flugerprobung zu bringen und damit nach zehn Jahren Bauverbot endlich wieder zu den führenden Staaten wie England, USA, Sowjetunion und Frankreich aufzuschließen. Das war aber nur möglich geworden, weil die Sowjetunion den Junkerskonzern in seiner Substanz bis 1953 erhalten hatte und danach großzügige Entwicklungshilfe geleistet hat.
 

Das letzte Junkersflugzeug mit der Konstruktionsnummer „152“ und seine Erbauer – die Junkers-Entwicklungsgruppe um Brunolf Baade und Fritz Freytag – warten an der Vorstartlinie auf die Freigabe für den Erstflug des zugleich ersten DDR-Flugzeuges. Damit soll ein neues Kapitel in der deutschen Luftfahrtgeschichte aufgeschlagen werden: Ein Kapitel, das von Völkerverständigung, Frieden und der zivilen Nutzung der Flugzeugtechnik kündet; so wie es einst Prof. Hugo Junkers nach dem Ende des ersten Weltkrieges und der Vorstellung seiner F-13 im Sinn gehabt hat. Jetzt hat Prof. Baade die Stellung von Hugo Junkers inne, und er will unter sozialistischen Verhältnissen wieder den deutschen Flugzeugbau zu neuer Größe und Mächtigkeit führen.
Um die einstige Stellung des Junkerskonzerns in der Welt wiederzuerlangen, ist der erfolgreiche Abschluß des 152-Programms unbedingte Voraussetzung, damit unter gut laufenden Serienbaubedingungen die Entwicklung noch modernerer Muster – wie der 153, deren Konstruktion seit Mai 1958 bereits auf Hochtouren läuft, und dem Nachfolgemodell der 152, der vierstrahligen 154, gelingen und finanziert werden kann.
Am 3. Dezember 1958 ist noch einmal das volle Rollprogramm bis zur Abhebegeschwindigkeit aufgearbeitet worden, um an diesem 4. Dezember endlich fliegen zu können. Doch dafür müssen einige Abstriche im Fertigstellungsstand der 152 V1 zugestanden werden. Insbesondere die nicht richtig funktionierenden Bremsautomaten sind ein ungelöstes Problem, das durch gefühlvolles Bremsen des Piloten gemeistert werden muß. Auch bei den Anzeigen sollen die Piloten und Bordwart Paul Heerling improvisieren. Im allgemeinen aber ist man sich in der Hauptabteilung Flugerprobung einig, daß der Erstflug gewagt werden kann, da dieser nur eine Platzrunde in geringer Höhe mit ausgefahrenen Fahrwerken und Klappen von etwa 20 Minuten Flugdauer vorsieht. Da ausserdem das Wetter im Dezember launisch ist und die Wetterfrösche nur für die nächsten Tage sicheres Hochdruckwetter gemeldet haben, stehen der 4. oder 5. Dezember als Flugtermin fest.

Ein strahlend blauer Dezemberhimmel empfängt den letzten Junkerssproß mit der schlichten Nummer „152“ beim Herausrollen aus der Halle 285 an diesem 4. Dezember 1958. Seit dem frühen Morgen ist das Bodenpersonal an der 152 V1, um die Maschine auf ihren ersten Flug vorzubereiten. Nur drei Besatzungsmitglieder werden fliegen: Willi Lehmann als Kommandant und Flugzeugführer, Paul Heerling als Bordwart und Kurt Bemme als zweiter Flugzeugführer. Der Navigatorsitz ist ausgebaut, damit die beiden Piloten eine gute Sicht durch die Navigatorverglasung auf die Startbahn beim Rollen und beim Landeanflug bekommen. Aus Sicherheitsgründen würde man auch gerne auf den Co-Piloten verzichten und dafür Bordwart Heerling auf den zweiten Schleudersitz setzen, aber eine anders geartete Abteilung „Sicherheit“ hat etwas dagegen. Denn dort meint man, daß Nicht-SED-Mitglied Willi Lehmann die V1 vielleicht in den Westen fliegen könne, was durch einen Co-Piloten mit Parteibuch verhindert werden müsse. Praktisch jedoch muß Kurt Bemme mit Hilfe einer Fernschaltung die Bedienung der Flugmeßanlage auf Kommando des ersten Piloten vornehmen. Erst bei den nachfolgenden  Flügen würden Flugversuchsingenieure die Bedienung übernehmen.
Das Flugzeug ist mit 9.600 Litern betankt, was für eine Stunde und zwanzig Minuten Flugzeit ausreichen müßte. Mit 420 kg Ballast im Gepäckraum und der Besatzung ergibt sich ein Abfluggewicht von 36.000 kg bei einer Schwerpunktslage von 25,4 % lm. Beim ersten Start soll das hintere Fahrwerk nicht abgesenkt werden, so daß statt bis 220 bis 245 km/h beschleunigt werden muß. Außerdem sollen Fahrwerke und Landeklappen ausgefahren bleiben, damit sich die Piloten erstmal mit den Langsamflugeigenschaften der Maschine in Ruhe vertraut machen können. Durch die ausgefahrenen Klappen ist die maximal angezeigte Staudruckgeschwindigkeit auf 345 km/h begrenzt. Geflogen werden soll eine erweiterte Platzrunde mit vier sanften Kurven und anschliessender Landung, wofür eine Flugzeit von 20 bis 25 min veranschlagt ist.

Genau zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag steigt Kommandant Willi Lehmann an diesem 4. Dezember 1958 ins Cockpit der 152 V1. Ihm folgen Co-Pilot Kurt Bemme (43 Jahre) und Bordingenieur Paul Heerling (48 Jahre). Die Maschine steht am Anfang der Startbahn und ist mit dem Bug in den Wind gedreht, um das Anlassen der vier Strahltriebwerke zu erleichtern. Die meteorologischen Bedingungen sind für den ersten Flug wie beim lieben Gott bestellt: klare trockene Luft, beste Sichtverhältnisse und eine Temperatur von 8 0C, bei der die Turbinen ihre volle Leistung erreichen können.
Nach dem Check der einzelnen Systeme läßt Willi Lehmann die Triebwerke an. Paul Heerling liest die T5-Temperaturen der Schubdüsen ab und die eingespeisten Stromstärken der vier Generatoren bei Leerlauf und Vollast. Alles i.O. Willi Lehmann dreht die V1 auf den weißen Strich der Startbahn ein. Er erhält vom Startkontrollpunkt um 11.18 Uhr von Chefpilot Karl Treuter die Startfreigabe. Die vier Triebwerke heulen zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen auf. Die Bremsen werden gelöst und die Maschine nimmt zügig Fahrt auf. Nach 880 m zieht Willi Lehmann am Höhenruder, ohne das Fahrwerk abgesenkt zu haben. Wenige Meter später hebt die V1 sachte von der Piste ab, bestaunt und bewundert von tausenden Augenpaaren, die dem schnell entschwindenden Silbervogel nachhängen. Von all dem bekommt die Besatzung nichts mit. Sie muß sich auf das sehr schnell steigende Flugzeug konzentrieren. Das Seitenruder-Booster mußte vor dem Erstflug wieder ausgebaut werden, weil die Ruderschreiber Abweichungen von der Sollkurve festgestellt hatten, die ohne Booster nicht vorhanden waren. Das bedeutete für die Steuerung, daß der Pilot zur Seitenruderbetätigung mit 95 kg in die Pedalen treten mußte. Außerdem hing das Flugzeug mit fast 10 Grad über der rechten Fläche im Steigflug. Das konnte an der unterschiedlich gemessenen Schubabgabe der linken und rechten Gondel liegen, aber auch an einer fehlerhaft arbeitenden Umpumpleitung zwischen linken und rechten Kraftstoffbehältern. In dieser Phase des Fluges hatte die Besatzung keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Lehmann nimmt die Schubhebel in Intervallen zurück bis das rasche Steigen spürbar langsamer wird.

In 1.000 m geht er in den Horizontalflug über. Die Schubhebel müssen noch weiter zurückgenommen werden, um die Maschine bei rund 300 km/h in einem stabilen Geradeausflug zu halten.  Nachdem die Geschwindigkeit einreguliert ist, trimmt Lehmann die Maschine aus. Anschließend betätigt er sanft die Steuerung um alle drei Achsen, damit die Flugschreiber schon erste Reaktionen des Flugzeuges aufschreiben können. Auch für den Piloten sind die Steuereingaben wichtig, um ein Gefühl für die neue Maschine zu bekommen. Kaum sind die Steuereingaben erfolgt, muß er die V1 auch schon in die erste Kurve legen, dabei immer den dicken Zeiger des Geschwindigkeitsmessers im Blick und bereit, wieder mehr Gas zu geben.
Nach der zweiten gelungenen Kurve löst sich die Anspannung etwas. Die V1 fliegt mit ausgefahrenen Landeklappen sehr stabil. Auf die Lenkkommandos reagiert sie entsprechend ihrer Größe zügig. Das Hängen der rechten Fläche läßt sich allerdings nicht wegtrimmen. Jetzt geht es in die dritte Kurve und damit in Richtung Platz zurück. Noch sind keine 20 min geflogen. Kraftstoff ist noch für über eine Flugstunde in den Tanks. Um sich weiter mit der Maschine vertraut machen zu können und den wartenden Flugzeugwerkern zum Dank für ihre geleistete Arbeit eine kleine Anerkennung zuteil werden zu lassen, beschließt die Besatzung einstimmig, den Flugplatz in 500 m Höhe zu überfliegen, damit alle die neue Maschine nochmal im Flug bewundern können. Mit den Flügeln „winkend“ überfliegt Lehmann den Flugplatz und entschwindet den Blicken erneut.

Technische Daten Baade 152/I (V1):

Verwendung: Passagierflugzeug, Transporter;
Motor: 4 x Mikulin RD-9B mit je 3.250 kp Schub mit Nachverbrennung;
Startmasse: 43.600 kg; Rüstmasse: 27.980 kg; Nutzlast: 7,35-4,32 t;
Kraftstoff 8,27-11,3 t;
Spannweite: 26,80 m; Flügelfläche: 138 qm; Länge: 31,425 m; Höhe: 9,695 m;
Höchstgeschw.: 920 km/h in 7,0 km; Reisegeschw.: 765 km/h in 9,1 km; Landegeschw.: 190 km/h; Steigleistung: 13,4 m/s; Dienstgipfelhöhe: 12 km; Reichweite: 2.020 km mit 4,3 t Nutzlast; Startrollstrecke: 825 m; Landerollstrecke: 625 m;

 

Das Bild zeigt die 152/I V1 bei ihrem zweiten Flug am 4. März 1959 mit eingefahrenen Fahrwerken und Klappen im Steigflug auf 6.000 m nach einer Flugzeit von etwa 15 min. Die Fluggeschwindigkeit lag bei rund 400 km/h. Bei diesem Flug stürzte die 152 V1 kurz vor dem Überflug des Platzes, der in nur 25 m Höhe erfolgen sollte, nach einer knappen Flugstunde ab.

 

 

Nach dem Absturz der 152/I V1 konzentrierten sich alle Hoffungen auf das neue Muster 152/II, von dem die V4 und die V5 in der Fertigung standen. Im Bild der Rumpf der 152/II V5 bei Abdrücken im Freien mit 0,7 atü Sicherheitsdruck im September 1959.

 

Spektakulärer Archivfund gelungen

 

Ein Zufall hat es doch noch an den Tag gebracht - den Meßstellenplan der 152/I V1. Bei meinem letzten Archivbesuch im Flugzeugwerk Dresden entdeckte ich die von Versuchsingenieur Georg Eismann angelegte Mappe zur Erprobung der 152 V1. Sie enthielt alle Dokumente zur V1 (außer dem Flugbericht zum 1. Flug vom 4. Dezember 1958). Der werte Leser kann somit den im Buch "Die Absturzursachen des DDR-Jets Baade-152" aus Ermangelung des richtigen Meßstellenplans auf Seite 32 gebrachten Plan der V4 durch diesen Plan ersetzen. Ich bringe ihn an dieser Stelle in einer hochauflösenden Form (3,02 MB als JPG bzw 78,8 MB als TIF), damit die insgesamt 200 Meßstellen auch entziffert werden können. Wie zu sehen, sind sogar Schwingungsmesser an den Flügel- und Leitwerksspitzen sowie an den Tw-Gondeln installiert sowie Geber für Temperaturen, Drehzahlen, Drücke, Durchflußmengen usw. Einfach toll! H. Lorenz am 7. Oktober 2016